Karfreitags-Gedanken 2020: systemrelevant 1
Mal Hand aufs Herz: Würde Ihnen und Euch was fehlen, wenn es den Karfreitag nicht geben würde? Jetzt in der Corona-Krise kann der Karfreitag nicht wie gewohnt begangen werden. Da stellt sich vielleicht schnell die Frage: Brauchen wir ihn überhaupt? Für was soll er gut sein? Ist er systemrelevant in unserem Denken und Leben? Muss das sein, einen leidenden und sterbenden Menschen zu betrachten und zu betrauern, von dem auch noch gesagt wird, er wäre Gottes Sohn?
An
Karfreitag erinnern wir uns ja an Jesu Tod am Kreuz. Nachzulesen z. B. bei
Lukas 23,33-49. Jesus hat völlig unverschuldet gelitten und ist völlig
unschuldig gestorben. Jetzt in der Corona-Krise leiden wir alle mehr oder
weniger stark. Und in jedem Fall unverschuldet. Auch wenn
Verschwörungstheoretiker einen Grund auszumachen versuchen für all das, was uns
gerade weltweit beutelt. Nein, es ist auch keine Strafe Gottes! Das Mittelalter
ist schon lange her. Damals hat man Seuchen als Strafe Gottes für Fehlverhalten
von uns Menschen angesehen. Für die Corona-Pandemie gib es keinen
nachvollziehbaren Grund. Und wer wird schon jemals ermitteln können, ob jemand
daran schuld ist?
Jenseits der Schuldfrage ...
Bleiben die Fragen: Warum das Ganze? Warum das hochansteckende neuartige Virus? Warum das Leiden, der Schmerz? Warum der gesellschaftliche und wirtschaftliche Shutdown mit allen schmerzlichen Folgen für unseren Wohlstand? Warum die Zeit der sozialen Distanz und des Kontaktverbots? Warum die Zeit der Engpässe? Warum die Zeit der persönlichen, familiären und beruflichen Katastrophen? Auf all diese Fragen gibt es keine wirklichen Antworten.
Warum es
Krisen, schwierige Zeiten und Leiden gibt, das wissen wir Menschen nicht.
Genauso schwer fällt es, zu ergründen, weshalb Jesus so leiden und sterben musste.
Obwohl er Sohn des allmächtigen Gottes war. Aber eines zeigt Jesu Leiden und
Tod auf jeden Fall: „Gott haut nicht ab, wenn es dunkel wird. Er ist da. Wir
sind umhüllt von Gott“, wie es der Tübinger Religionspädagoge Albert Biesinger
in diesen Tagen so treffend wie anschaulich formuliert hat. Für seine 13jährige
Enkelin übrigens.
Ja, Jesu Leiden und Tod zeigen: Gott geht auch dorthin, wo´s weh tut. Gott hält selbst das Leiden mit aus. Gott durchlebt es selbst wie es ist, leiden zu müssen oder in schwierigen und belastenden Situationen zu stecken. Gott ist kein Schönwetter-Gott. Er kneift nicht, wenn´s eng wird. In allen Schwierigkeiten, in allem Leiden ist er uns nah. Er geht mit uns durchs dunkle Tal und lässt uns nicht allein. Weil er ein großes Herz für uns hat. Und wer von uns wird schon von allem verschont?!
„Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (Joh 3,16).
Oder wie es Dietrich Bonhoeffer einmal gesagt hat: „Gott lässt sich aus der Welt heraus drängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade nur so ist er bei uns und hilft uns.“
Nicht nur in Corona-Zeiten ist der Karfreitag also überaus systemrelevant für unser Denken und Leben.
Wer beten möchte:
Gott, wir sehen auf dein Kreuz.
Wir versuchen zu verstehen, was eigentlich nicht zu fassen ist: Dass Gott selbst am Kreuz hängt,
ausgeliefert den Menschen, ausgeliefert dem Tod,
leidend unser Leiden, sterbend unseren Tod.
Gott, wir sehen auf dein Kreuz.
Und klagen dir unser Leid.
Und dann verstehen wir: Du trägst das, was uns zu schwer.
Du bist bei uns auf den dunklen Wegen.
Wir sind nicht fern von dir. Amen.
Ich wünsche Euch und Ihnen allen einen nachdenklichen und ruhigen Karfreitag!
Ihr und Euer Pfarrer Norman Roth
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